Unfallvermeidung am Merkur

TIPP 1: Lenken nach dem Start

Manche Piloten sind schneller in der Luft als sie denken (zB weil sie sonst nur von flachen Hänge starten). Wer nicht lenkt hat ein Problem. Das heißt: Sofort, wenn die Füsse in der Luft sind, sich aufs Lenken konzentrieren. Fast alle Zwischenfälle der letzen Jahre, auch von erfahrenen Piloten, wären vermeidbar gewesen, wenn – sobald abgehoben oder ausgehebelt – auch sofort Kontrolle über den Schirm übernommen worden wäre.

TIPP 2: Bei Starkwind Kappe direkt vor dem Start komplett unter die Kante ziehen

Warum? Unterhalb der Kante ist er doch durch den Wind hibbelig? Ja, Leinen sollte man deshalb zwar immer oben sortieren, aber dann Schirm runter ziehen: Unter der Kante ist der Start viiiiel kontrollierter.

Schirm oben sortieren, zum Starten in den Wind ziehenWarum ist das so: Wer seinen Schirm bei Starkwind von hinten ganz normal startet, muss ihn erst durch die “Windstille” ziehen. Der starke Zug an A (damit sich der Schirm mal rührt) hat zur Folge, dass der Schirm im Windfenster angekommen sofort extem beschleuningt.

Ein unüberschaubar und extrem schneller Start ist die Folge. In diesem Moment führt das “zu starke Anbremsen” zum Aushebeln, was wiederum nur erfahrene Piloten in der Folge sicher beherrschen. Die weniger erfahrenen fangen sich bei diesem Ablauf einen Klapper oder Frontstall ein (zu wenig oder spät angebremst). Diese Situation sicher zu beherrschen ist aufgrund des feinmotorischen Bremseinsatzes in dieser hektischen Situation extrem schwer. Dies trifft bei Starkwindstarts die Mehrheit der Starter. Und führt bei vielen Piloten dann zum Problem Nr. 1.

Den Schirm unter die Kante zu ziehen hat ausserdem den Vorteil, dass die starke Hangneigung den Startvorgang begünstigt bei starkem Wind. Ein sanfter Zug führt auch bei Starkwind dann zu einem LANGSAMEN Startvorgang. Kippt der Schirm unkontrolliert kann viel einfacher abgebrochen werden. Hektik ist Gift, erst Recht bei starkem Wind.

Schirm oben sortieren, zum Starten in den Wind ziehen
Bäume sind unsere Freunde

TIPP 3: Bäume sind unsere Freunde

Bei jeder Nordost-Einweisung sagen wir: Die meisten Wiesen, die Ihr sehen könnt, sind unlandbar. Falls es mal aus irgendwelchen Gründen nicht mehr zum Landeplatz reicht, ist eine kontrollierte Baumlandung sicherer als eine unlandbare Wiese!

Das Wichtigste bei einer Baumlandung: Der Schirm muss sich in der Krone verfangen. Ein Baum muss also immer so angeflogen werden, dass die Kappe oberhalb der Krone ist. Der Pilot kann hierbei leicht unterhalb der Baumspitze sein. ABER NIEMALS einen Baum seitlich anfliegen, man würde runterfallen, weil sich der Schirm nicht verhängt (die Kappe darf nicht unterhalb der Krone sein!)

Einzelne Bäume meiden. Je dichter das Waldstück, das man sich aussucht, desto besser, denn dann verhängt sich der Schirm viel einfacher in der Krone. Wenn möglich ein Stück Wald in der Nähe einer Strasse ausschen, das erleichtert Ortsangaben. In jedem Fall nach einem Zwischenfall die 112 rufen, auch wenn man sich selbst befreit hat. Nicht selber aus dem Baum retten. Siehe Artikel Baumlandungen. Den Schirm auf keinen Fall selber bergen, wenn geklettert werden muss.

Konzentrierte Baumlandungen gehen praktisch immer ohne Verletzungen einher.

TIPP 4: Wir sprechen viel mehr mit Piloten, die wir nicht kennen

Immer mehr Mitglieder fühlen sich am Startplatz für unser Fluggebiet verantwortlich. Das ist wirklich klasse. Wir müssen das weiter fördern. Sprecht Piloten an, die Ihr nicht kennt. Besonders wenn Bedingungen rau sin. Oft hilft es auch, den Piloten zu raten, die Bedingungen und andere Starts noch weitere 20 Minuten zu beobachten (siehe 5).

Dies hat Unfälle schon oft vermieden. Auch Anfänger (Mitglieder) können andere ansprechen, denn Kommunikation führt zum Nachdenken und macht lockerer in stressigen Situationen (zu starker Seitenwind? Warum fliegen die und nicht ich? Wie oft bist Du hier schon geflogen?)

Lasst auf Nord-Ost niemanden fliegen ohne Aufkleber am Helm, egal was der jenige sagt. Denn es sind genau diese Einzelfälle, die uns mit Unfällen nachher in Schwieirgkeiten bringen (Beschlagnahme der Einweisungsbücher durch die Polizei nach einem Unfall beispielsweise).

mehr miteinander reden
Kann ich das fliegen??

TIPP 5: Beobachten, miteinander reden, abwarten

Dies ist das größte Problem von allen: Wir sehen 10 unsaubere Starts, draußen sieht es aus wie Rodeo-Reiten und wir denken zu wenig darüber nach, warum das gerade so ist.

Wir nehmen uns manchmal nicht genug Zeit, die Bedingungen zu beobachten. Die Zeichen einzuschätzen. Das eigene Können für diesen Tag zu hinterfragen. Dazu kommt: Habe ich einfach jetzt den dringenden Wunsch zu fliegen, koste es was es wolle?

Klingt doof, ist aber so: Je erfahrener der Pilot, desto mehr beobachtet er und schätzt die Situation für sich selber ein. Für sein Können. Bei jedem Start, egal wie ruhig die Bedingungen sind. Nüchtern und ehrlich. Deshalb: Mindestens 20 Minuten den Wind, das Wetter und andere Starts beobachten, bevor man sich zum Start klar macht.

Wer noch nicht die nötige Erfahrung hat, der kann intensiver mit den anderen Piloten sprechen. Redet miteinander am Startplatz über komische Starts, sportliche Bedingungen und redet darüber ob es sicher ist, jetzt zu fliegen. Im Zweifelsfall: Weiter beobachten. Ja, Klatsch und Tratsch kann das Fliegen sicherer machen, wenn er zum Nachdenken führt.

Einfach 20 Minuten weiter beobachten und gegenseitige Beratung hilft, Unfälle zu vermeiden.

Wir sind nicht gegen freies Fliegen oder eigenständige Pilotenentscheidungen. Wir sind auch nicht für einen Startplatz-Sheriff. Aber wir denken, dass es Sinn macht, mehr aufeinander aufzupassen und miteinander zu sprechen, mehr zu beobachten und abzuwarten.

Grundsätzliche Problematiken bei Unfällen:

Für uns als Vorstand sind steigende Unfallzahlen vor allem aus einem Grund ein Problem: Wir haben kaum Möglichkeiten übrig, die die Unfallzahlen senken. Natürlich kann man wieder und wieder irgendwelche Regeln in die Flugbetriebsordnung schreiben – die Erfahrung zeigt aber, dass noch mehr Regeln kaum zu weniger Unfällen führen.

Grundsätzlich muss man bemerken, daß in vergleichbar populären Gebieten immer noch deutlich mehr Unfälle passieren als in Baden-Baden. Unser Sicherheitsniveau ist hoch, auch weil viele Piloten sensibilisiert sind. Seitdem wir darauf bestehen (müssen), daß uns auch kleine Unfälle gemeldet werden, können wir weitere wichtige Schritte zur Unfallvermeidung gehen: Analysieren und Euch eine Hilfestellung geben.

Die Analyse der Unfälle

Insgesamt sechs Schwerverletzte ist die Bilanz 2010 bis jetzt (Juli 2010). Startunfälle bei stärkerem Wind stellen die häufigsten Probleme dar. Ein Unfall auf einer Mini-Not-Wiese(NO) gehört ebenfalls dazu wie ein Positionskreis zu nah seitlich an einem Baum entlang. Auch eine unglückliche Landung.

Bei den Unfällen mit leichter oder ohne Verletzung waren meistens Startfehler der Grund. In den meisten Fällen schätzten die Piloten die Startbedingungen in Bezug auf ihr Können falsch ein. Merkur-West ist ein anfängertaugliches Fluggebiet – aber die Überschätzung hat deutlich zugenommen, vor allem der Lemminge-Effekt zeigt sich als Unfallursache (“wenn der fliegt kann ichs auch”).

Die wichtigste STARKWIND-REGEL: Wer nicht alleine starten kann, soll nicht starten!

Immer wieder helfen manche von uns startbereiten Piloten, z.B. den Schirm festzuhalten, weil sie sonst bei starkem Wind nicht starten können. Das ist fatal! Hilfsbereitschaft natürlich ja – aber wer seinen Schirm nicht schon am Boden kontrolliert, der kann seinen Start auch nicht kontrollieren. Solche Piloten sind extrem unfallgefährdet, das zeigen alle Beobachtungen. Diesen Piloten muß jeder von uns deutlich vom Start abraten. Starts ab 20 km/h aufwärts sind nur was für Profis.

Ganz grundsätzlich: Statistiken aus den Anfangstagen des Fluggeländes belegen, dass vor allem die Pflicht-Einweisung die Zahlen radikal gedrückt haben. Und das heisst ganz konkret: Die ultimative Waffe zur Unfallvermeidung ist ein immer wiederkehrender direkter Kontakt zwischen Gast und Mitglieder. Auch ein Kontakt zwischen Anfänger und Local.

Stefan Scheurer