MUSTERERKENNUNG
Mehr als 100 Teilnehmer beim luglidz-Seminar des Gleitschirmverein Baden.
Wie oft musst man zur Tür raus gehen, um zu erkennen, was vor einem liegt? Wie oft muss man aus dem Fenster blicken, um die Schönheit des Alltäglichen zu sehen? Wie oft muss man etwas tun, um zu begreifen was man tut? Vielleicht so oft wie man es kann. Manchmal geht es aber auch schneller. Was das Gleitschirmfliegen angeht, kann etwas frisches Wissen Augen öffnen, – um über gewohnte Bahnen hinauszusteigen und Neues zu erfahren, um länger oben zu bleiben, um schöner oben zu bleiben, um über das Erleben des Neuen – auch im gewohnten Umfeld – neue Freude am Bekannten zu gewinnen.
Durch strömenden Regen zu Strömungsmustern
Einen ganzen spannenden Abend voller neuer Ausblicke hat uns Antonia Bohner am 8. November 2019 beschert. Die erfahrene Solo- und frisch gebackene Tandempilotin des Gleitschirmverein Baden konnte den bekannten Gleitschirmblogger und Wissenschaftsjournalisten Lucian Haas (lu-glidz.blogspot.de) für ein Seminar nach Karlsruhe holen. Themen waren neue Perspektiven der Thermik-Theorie und das Deuten von Strömungsmustern anhand von Topo-Karten. Was trocken klingt, war das Gegenteil davon – und das nicht nur aufgrund des strömenden Regens, durch den sich die rund 100 Seminarbesucher bis in das K3 Kultur- und Kreativbüro gekämpft hatten. Lucian Haas ist es gelungen selbst komplexe Zusammenhänge leicht verständlich, unterhaltsam und fesselnd zu erklären – und das über drei Stunden hinweg.
Das Rätsel der verschwundenen Blase
Warum gibt es immer wieder diese Tage, an denen man sich am Hang einen Ast soart und so ein scheinbar unbekümmerter, den Baumwipfel-Nahkampf verweigernder Engel der Gelassenheit fliegt einfach raus ins Flache, schubbert bisl mit Nullschieber rum und ist plötzlich hoch über einem, während man selbst immer noch im Schweiße seines Liegegurts Blubberblasen reitet bis man den Geschmack des Frühstück wieder auf der Zunge hat? Lucian Haas nennt das „Das Rätsel der verschwundenen Thermikblase“. Wer die Hintergründe genau kennenlernen will, für den lohnt sich ein Blick auf seine Präsentation, die es unter https://tinyurl.com/thermik-swg noch bis Ende November zum Download gibt.
Neben dem Faktor Sonne, spielen für die Thermikentwicklung eine mindestens genauso große Rolle die Einflussgrößen Feuchtigkeit und Volumen. Nicht nur warme Luftmassen sind leichter als die sie umgebende kühlere Luft, auch feuchte Luft steigt in trockener Umgebungsluft auf. Zunächst langsamer in Relation zu heißen Blasen, je höher sie jedoch aufsteigt, desto mehr gewinnt sie in trockener Höhenluft an Aufstiegsdynamik. Zwar ist es in Bodennähe durchaus sinnvoll heiße Areale anzupeilen über denen sich Thermik ablösen kann, je höher man kommt und kommen will, desto vorteilhafter kann es sein, sich an Bodenbereichen zu orientieren, die Feuchtigkeit an die Luft abgeben.
Darum saugen Wolken nicht
Gute
Nachrichten gab es von Lucian Haas für diejenigen, die fürchten,
von Wolken eingesaugt zu werden. Nach neuesten Erkenntnissen der
Thermik-Theorie können Wolken gar nicht saugen. Wer jetzt denkt
„Glück gehabt“, dessen Freude währt nur kurz, denn während
Wolken zwar nicht saugen, drückt die an ihrer Außenseite nach unten
strömende kalte, trockene Luft die unter der Wolke aufsteigende
Thermik verstärkt nach oben und wird so zum Thermik-Turbo. Wer also
früher mal in eine Wolke gesaugt wurde, wird in Zukunft, wenn er
nicht aufpasst, hochgedrückt – dumm gelaufen!
Ideale
Thermik-Bedingungen sind übrigens kalte, trockene Höhenluft, nicht
allzu heißer Untergrund und ein ausreichender Feuchtigkeitsquell am
Boden wie etwa Wald, feuchte Wiesen oder ein Moor – idealer Weise
in Nachbarschaft zu wärmeren Bereichen wie trockenen Feldern.
Von Kanten, Kesseln und Nasen
Für die thermikfreien Zeiten oder Menschen, die das Soaring lieben, hat Lucian Haas grundlegende Strömungsmuster des Hang-Soarings erläutert. Beim Soaren an „Kanten, Kesseln und Nasen“ muss der Hang zum Hang nicht immer die beste Strategie sein. So führen beispielsweise an Nasen zur Seite abweichende Strömungskonvergenzen dazu, dass man oft auch in 45 Grad zur Nasenspitze verlaufenden Bereichen gut oben bleiben und an Kesselrändern mit Thermikablösungen rechnen kann.
Ein rundum gelungener Abend
Fazit: Ein klasse Abend für jeden Gleitschirmflieger, ob Anfänger oder Fortgeschrittene, um durch mehr Wissen noch mehr Spaß am Fliegen zu gewinnen, Bekanntes auf neue Art zu erleben und sich (und anderen – vorzugsweise durch ungehemmten Redefluss unmittelbar nach dem Landen) Erlebtes noch besser zu erklären.
Danke Lucian Haas für den tollen Vortrag. Danke Antonia Bohner für die Inspiration, den Kontakt zu Lucian und die gesamte Event- und Location-Organisation. Und Danke an alle, die bei dem Sau- und Stauwetter den Weg selbst vom fernen Tübingen bis nach Karlsruhe gefunden haben.
GSV veranstaltet weitere Events
Der Gleitschirmverein Baden e.V., die Schwarzwaldgeier, organisiert und sponsert regelmäßig Weiterbildungsveranstaltungen im Kontext des Gleitschirmfliegens. So war auch bei dieser Veranstaltung der Eintritt frei. Ziel des Gleitschirmverein Baden ist die Förderung des Gleitschirmfliegens, damit Pilotinnen und Piloten noch sicherer fliegen und noch mehr Freude am Fliegen haben.
Am 31. Januar 2020 findet die nächste Seminar-Veranstaltung des Gleitschirmverein Baden statt. Dann geht es im Tannenhof Baden-Baden rund ums Streckenfliegen im Schwarzwald. Genaue Informationen folgen rechtzeitig. Die Orga übernimmt GSV-Pilot Rüdiger Becker.